Tag der Seelchen

Im atheistisch geprägten Böhmen ist der 1. November, Allerheiligen, kein offizieller Feiertag. Es gibt keine Messe, zu der die Leute nachmittags auf den Friedhof gehen, um ihrer Verstorbenen zu gedenken. In Prag sind die Gräber auch weniger stark geschmückt und gepflegt – ganz anders, als ich das aus katholisch geprägten Ländern wie Österreich oder Polen kenne, wo die opulent mit Blumen verzierten und hell erleuchteten Friedhöfe, die ich Anfang November in Krakau gesehen habe, fast etwas Kultisches haben. Im böhmischen Alltag ist der Feiertag allerdings als Begriff zu finden. Unter der Bezeichnung „dušičky“, was sich auf den als Allerseelentag bekannten 2. November bezieht, der in der Monarchie als Feiertag behandelt worden sei (zumindest erzählte mir das vor Jahren ein ehemaliger, inzwischen als Pfarrer tägiger Schulkollege). „Duše“, das tschechische Wort für Seele. Die Verkleinerungsform dazu heißt „dušička“, und der Plural „dušičky“. Wörtlich heißt der Feiertag also „Seelchen“, Arme Seelen. Womit der tschechische Name dieses „halben Feiertags“ eigentlich viel konkreter ist – in der katholischen Tradition gehen die Menschen an Allerheiligen ja gar nicht wegen der Heiligen auf den Friedhof. Die tschechische „Seele“, die „duše“, finden wir aber auch noch ganz woanders. Ich erinnere mich an einen Abend vor ein paar Jahren, es war wohl um diese Zeit, Anfang November, es war kalt und finster, als ich mit dem Fahrrad nach Hause fuhr und am Weg über die Brücke feststellte, dass ich keine Luft mehr im Hinterreifen hatte. Ich schob das Fahrrad auf dem letzten Stück und trug es dann in die Wohnung hinauf, wo ich es am nächsten Tag reparieren wollte. Da ich hatte keinen passenden Fahrradschlauch zu Hause hatte, schaute ich gleich nach, was ich mir denn da besorgen müsste, wonach ich im Laden fragen sollte. Nach einen Schlauch, tschechisch „hadice“ vermutlich. Keineswegs. Der läppische Schlauch hat im Tschechischen die edle Bezeichnung „duše“.

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